Berlin ist immer eine Reise wert

Vom Paul-Löbe-Haus über den Preußischen Landtag und den Reichstag bis zur niedersächsischen Landesvertretung

„Berlin ist immer eine Reise wert.“ Diesen Werbespruch der Berliner konnten auch die 22 Teilnehmer der Parlamentarischen Vereinigung Niedersachsen bestätigen, die vom 19. bis 20. April 2007 unter Leitung ihres Vorsitzenden, Landtagsvizepräsident Ulrich Biehl (SPD), unsere Bundeshauptstadt besuchten. In eineinhalb Stunden erreichte die Reisegesellschaft im bequemen ICE ab Hannover den neuen Berliner Hauptbahnhof. Wer zum ersten Male sah, was aus dem guten, alten früheren Lehrter Bahnhof geworden ist, war von dem pompösen, gigantischen, neuen Bauwerk fast erschlagen. Zum Reichstag und zum Regierungsviertel ist es von hier aus nur ein Katzensprung. 

Die erste Station im Reiseprogramm war die „Vereinigung ehemaliger Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments e.V.“ Sie hat ihren Sitz im Paul- Löbe-Haus zwischen Reistag und Brandenburger Tor. (Paul Löbe, 1875 - 1967, ehemaliger Reichstagspräsident der Weimarer Republik und erster Alterspräsident des Deutschen Bundestages von 1949). Hier fühlten sich die niedersächsischen Parlamentarier gleich „wie zu Haus“. Sie wurden von der amtierenden Präsidentin, Bundesministerin a.D. Prof. Dr. Ursula Lehr (CDU), herzlich empfangen und darüber informiert, dass der Zweck des Vereins die Pflege der Gemeinsamkeit unter Ehemaligen und die Verbindung zu den derzeit aktiven Abgeordneten in Bund und Ländern und im Europa-Parlament sowie die Verbindung zu gleichgerichteten Vereinigungen ist. Mit dem Besuch des Niedersächsischen Landtags im vergangenen Jahr in Hannover hatte die Vereinigung die Besuche aller Bundesländer abgeschlossen. Ein weiterer Zweck des Vereins ist, mit der Erfahrung seiner Mitglieder der parlamentarischen Demokratie in Deutschland zu dienen. „Wir sind dazu bereit“, sagte Prof. Lehr, „bündeln sie doch bei unseren 659 Mitgliedern insgesamt über 8.300 Jahre parlamentarische Erfahrung im Deutschen Bundestag. Sie haben unter Freiheitsbeschränkung gelitten, aber auch Kriegsfolgen, Ausbombung, Verlust Nahestehender, Flüchtlings- und Vertreibungselend, Wohnungsnot, Kälte und Hunger am eigenen Leib erfahren. Sie haben verzichten gelernt, mussten sich mit Wenigem begnügen und haben dann unser Land wieder aufgebaut. Diese Erfahrungen können nur Zeitzeugen den jüngeren Generationen eindrucksvoll vermitteln; hier versagen Geschichtsbuch und Internet. Hier haben wir Ehemaligen eine Verantwortung, uns einzubringen, an welcher Stelle auch immer. Und so suchen wir den Kontakt zu Jüngeren in den Kommunen, in den Universitäten, in den verschiedensten Vereinen und Gruppierungen.“ Vergangenes soll wach gehalten werden, aber darin soll man nicht verhaftet bleiben. „Wir müssen uns der Gegenwart stellen, Entwicklungen scharf beobachten, aufgeschlossen Neuem begegnen und die Ausrichtung auf die Zukunft nicht aufgeben. Wir wollen uns über neue Trends informieren und orientieren.“ Danach entspann sich eine lebhafte Diskussion über das Selbstverständnis des Parlamentarismus. Bei der Besichtigung des Hauses, in dem jedes Bundesland mit einem eigenen Raum vertreten ist, mussten die niedersächsischen Besucher allerdings feststellen, dass der Raum „Niedersachsen“ nicht nur mühsam zu finden ist, sondern dass er auch nicht den Eindruck macht, als gehöre er zu den Schmuckstücken des Hauses. Mit etwas Liebe und Phantasie ließe sich sicher ein bisschen mehr daraus machen. Auch Charakteristisches, an dem Niedersachsen keinen Mangel hat, täte der Einrichtung sicher gut.

Staunen im ehemaligen Preußischen Landtag

Die zweite Station war das Berliner Abgeordnetenhaus, Sitz des Parlaments der Bundeshauptstadt. Es ist in dem historischen Gebäude des früheren Preußischen Landtags untergebracht und liegt direkt an der Linie der ehemaligen Berliner Mauer im Zentrum der wiedervereinten Stadt. Gemeinsam mit dem gegenüber liegenden Martin-Gropius-Bau und dem Bundesrat bildet es einen interessanten Kontrast zu dem völlig neu und sehr modern gestalteten Potsdamer Platz. Auch im Berliner Parlament war der Empfang sehr freundschaftlich und „heimatlich“. Denn der Hausherr, Parlamentspräsident Walter Momper (SPD), gab sich gleich als gebürtiger Niedersachse aus Syke zu erkennen und zeigte sich mit niedersächsischen Verhältnissen bestens vertraut. Und dann gab es ein Wiedersehen mit seinem jetzigen „Direktor bei dem Abgeordnetenhaus“, Peter Blum, den die hannoverschen Parlamentarier aus seiner jahrzehntelangen Zeit im Niedersächsischen Landtag kannten.

Besuch im Abgeordnetenhaus

Mit nicht unberechtigtem Stolz wies Präsident Momper auf die bewegte Geschichte des Hauses hin, das in den mehr als hundert Jahren seines Bestehens oft Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen Demokratie und Diktatur war und gute und schlechte Zeiten erlebt hat. 1899 wurde das Gebäude eingeweiht und vom Preußischen Landtag genutzt, 1918, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Ende der Monarchie, tagte hier der 1. Reichsrätekongress und stellte die Weichen für eine parlamentarische Demokratie, und die extreme Linke gründete im Festsaal die KPD. Auch in der Weimarer Republik war hier der Sitz des Preußischen Landtags, bis zur letzten Sitzung im Mai 1933, als die Nationalsozialisten ihn auflösten und das Gebäude 1934 in die Stiftung „Preußenhaus“ überführten. Dann ließ Hermann Göring das Gebäude zum „Haus der Flieger“ als Offizierskasino umbauen. In den letzten Kriegstagen 1945 wurde es noch schwer beschädigt, dann auf Befehl der sowjetischen Militäradministration wieder für den Sitz der ersten DDR- Regierung instand gesetzt. Ab 1960 wurde es Abhörstandort des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi). Unmittelbar nach der Wiedervereinigung beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus 1990 einstimmig, seinen Sitz in den ehemaligen Preußischen Landtag zu verlegen, der nach einer Rekordzeit umgebaut und 1993 von der Parlamentspräsidentin Dr. Hanna-Renate Laurin mit der ersten Sitzung wieder eröffnet wurde.

Die niedersächsischen Besucher konnten in diesem „begehbaren Lesebuch der Geschichte“ nur staunen, und beim Anblick des Plenarsaales mit der großen Kuppel dachten sie sicher: So viel Licht und Raum wäre auch im Niedersächsischen Landtag sehr schön. Allerdings die „Kunst am Bau“, beispielsweise im künstlerisch gestalteten Festsaal mit den abstrakten Tafelbildern unter dem Thema „Rot, Blau, Grün“, war doch sehr gewöhnungsbedürftig. Interessant war auch die Galerie der Ehrenbürger der Hauptstadt. Im Gespräch wies Parlamentspräsident Momper nicht nur auf die 60 Milliarden Euro Schulden hin, sondern meinte, das Regieren mit der PDS bzw. der Linkspartei sei recht „angenehm“, da sie ein sehr verlässlicher und verantwortungsvoller Partner sei. Die meisten der linken Abgeordneten hätten die DDR als Kinder oder überhaupt nicht mehr erlebt.

Die Nacht war nicht allein zum Schlafen da

Nach einer kleinen Stadtrundfahrt ging es ins Quartier zum Hotel Spreebogen Berlin. Ein gemeinsames Abendessen mit italienischem Buffet in der „Alten Meierei“ bot nach einem anstrengendem Besichtigungstag mit vielen interessanten Eindrücken und Diskussionen Gelegenheit zum geselligen Beisammensein. Zu „vorgerückter“ Stunde zog es dann doch noch etliche Teilnehmer dazu, Berlin bei Nacht zu erkunden. Eine kleine Gruppe von einem halben Dutzend „Provinzlern“ soll allerdings an den Fahrkartenautomaten der Berliner Stadtbahn nicht unerhebliche Schwierigkeiten gehabt haben, einen Gruppenfahrschein für zwei Stationen bis zum Bahnhof Friedrichstraße zu bekommen und musste die Hilfe der Stationsvorsteherin in Anspruch nehmen. Aber dann war es nicht allzu schwer, typische, urige Berliner Kneipen zu finden und mit Berlinern ebenso wie mit internationalen Gästen in mitternächtliche Weltverbesserungsgespräche zu kommen. Das gehört bei einer solchen Reise, zumal in die Bundeshauptstadt, natürlich ebenso dazu wie ein abschließender nächtlicher Klönsnack an der Hotelbar. Man glaubt gar nicht, was es unter alten Parlamentariern beim Glas Bier alles zu erzählen gibt und wie alte Freundschaften aufgefrischt und neue Freundschaft, über alle Parteigrenzen hinweg, geschlossen werden.

Der „Reinfall“ im Reichstag

Wie bei solchen Reisen üblich, war die Nacht relativ kurz. Am nächsten Morgen ging es um acht Uhr zum Besuch des Deutschen Bundestages in den Reichstag. Es sollte der Höhepunkt der Berlin-Reise werden. Doch es wurde, um es gleich vorweg zu sagen, kein Glanzlicht sondern eher ein Reinfall. Vielleicht hat auch der Umstand, dass wir in einer sitzungsfreien Woche kamen, mit dazu beigetragen. Der einzige Vorteil war, dass wir uns als angemeldete Reisegruppe nicht in einer langen Schlange anzustellen brauchten, sondern durch den Nebeneingang gleich Zutritt hatten. Die Kontrolle, durch mürrische Bedienstete, war penibler als auf jedem Flughafen. Selbst kleinste Taschenmesser wurden abgenommen und mussten beim Verlassen des Gebäudes extra abgeholt werden. Dann begann der routinemäßige Besucher-Massenbetrieb. Mit etwa einem Dutzend anderer Besuchergruppen wurden die Niedersachsen auf die Tribüne des Plenarsaales geschickt. Vorher mussten, wie es in den „wichtigen Hinweisen“ hieß, „Mäntel, Schirme, Koffer und Taschen sowie Tonbandgeräte, Ferngläser und ähnliche Geräte an der Garderobe abgegeben werden; dies gilt nicht für Handtaschen, wenn sie vorher einer Kontrolle unterzogen worden sind. Handys sind auszuschalten“. Und dann mussten sich die langjährigen, im Dienst ergrauten Parlamentarier den 08-15-Vortrag einer jungen Hostess anhören und sich von ihr den Parlamentarismus erklären lassen. Was für die Landfrauen von Syke oder den Kegelklub von Kleckersdorf sicher neu und vielleicht auch interessant gewesen sein mag, war für altgediente Abgeordnete eher eine Zumutung. Aber bei den Besuchergruppen wird offensichtlich kein Unterschied gemacht. Danach hatte die niedersächsische Gruppe das Pech, dass der einladende Bundestagsabgeordnete Georg Schirmbeck aus Osnabrück (CDU) wegen eines wichtigen Termins schon vorher sein Erscheinen abgesagt hatte und dass in der sitzungsfreien Woche nicht ein einziger anderer der über 50 niedersächsischen Bundestagsabgeordneten für ein Gespräch zur Verfügung stand. Das war für die niedersächsische Reisegruppe, bei allem Verständnis, doch recht enttäuschend. Der „Programmpunkt Bundestag“ war damit erledigt. Der Vormittag stand zur freien Verfügung. Immerhin bestand die Gelegenheit, die riesige Kuppel hinaufzusteigen und von der Aussichtsplattform des Reichstagsgebäudes den einmaligen Panorama-Blick über Berlin mit seinen vielen Sehenswürdigkeiten zu genießen. Der Architekt Foster, der „die Demokratie durchsichtig machen“ wollte, hatte auch gesagt: „Ich möchte, dass das deutsche Volk den Volksvertretern auf das Dach steigt!“ Es ist immer wieder ein Erlebnis in der Reichstagskuppel. Manche vertrieben sich auch die Zeit mit einem zweiten Frühstück in der Cafeteria der Kuppel.

In der Landesvertretung fehlte das heimische Gefühl

Der letzte Programmpunkt war mittags der Besuch und Empfang in der „Vertretung des Landes Niedersachsen beim Bund“. Sie ist vom Brandenburger Tor in wenigen Minuten zu Fuß zu erreichen. Ein Anziehungspunkt für Tausende von Fußgängern, die auf der belebten Straße vorbeigehen, ist im Vorgarten nicht etwa das Niedersachsen-Ross, sondern ausgerechnet ein ausgestopfter roter Elefant, allerdings mit den Namen aller niedersächsischen Städte. Der neue Glaspalast selbst, den sich Niedersachsen mit Schleswig­Holstein teilen muss, ist in seiner Architektur von außen recht ansehnlich, aber wie der Hausherr, Staatssekretär Gibowski, den Gästen erklärte, funktional völlig ungeeignet und in der Unterhaltung sehr teuer. Gäste, die noch die alte Landesvertretung in Bonn kannten, mit der „Bonner Gemütlichkeit“ und dem urigen „Friesenkeller“, waren sehr enttäuscht von der Nüchternheit und Phantasielosigkeit dieser Berliner „Niedersachsen-Botschaft“. Darüber half auch das großartige Mittagessen im „Speisesaal“ mit offenem Blick auf die Straßen nicht hinweg. Allerdings nahmen die niedersächsischen Parlamentarier die Gewissheit mit nach Hause, dass in diesem Haus, dessen Mitarbeiter ihre Hauptaufgabe in der Vertretung des Landes im Bundesrat sehen, und das zugleich ein Schaufenster Niedersachsens für die Berliner und viele Gäste ist, trotz vieler Unzumutbarkeiten gearbeitet wird. Jedoch war der Meinung nichts entgegenzusetzen: Das Beste wäre: abreißen und neu bauen. Damit stellte sich natürlich der Vergleich mit dem heimischen Parlament im Leineschloss in Hannover.

Bericht im „rundblick“ Nr. 76 vom 24.4.2007

Niedersächsische Alt-Parlamentarier in Berlin

(rb) Hannover. Auch die Parlamentarische Vereinigung Niedersachsen, ein Zusammenschluss ehemaliger und aktiver Abgeordneter des Niedersächsischen Landtags, hat jetzt die Erfahrung gemacht, dass Berlin immer eine Reise wert ist. Eine 20-köpfige Reisegruppe unter Leitung des Vorsitzenden, Landtagsvizepräsident Ulrich Biehl (SPD), fühlte sich auf der ersten Station ihrer Reise bei der „Vereinigung ehemaliger Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments“ noch „wie zu Hause“. Die Niedersachsen führten mit der amtierenden Präsidentin, Professorin Dr. Ursula Lehr, im Paul-Loebe-Haus eine lebhafte Diskussion über das Selbstverständnis des Parlamentarismus, stellten bei der Hausbesichtigung aber fest, dass der Raum Niedersachsen nicht den Eindruck macht, als gehörte er zu den Schmuckstücken; mit etwas Liebe und Phantasie ließe sich sicher ein bisschen mehr daraus machen. Bei der zweiten Station, dem Abgeordnetenhaus Berlin im repräsentativen historischen Gebäude des ehemaligen Preußischen Landtags, wo die Reisegruppe von Parlamentspräsident Walter Momper empfangen wurde, schlug ihr gleich etwas heimatliches Gefühl entgegen. Momper gab sich als gebürtiger Niedersachsen aus Syke zu erkennen und war mit niedersächsischen Verhältnissen bestens vertraut. Dazu gab es ein freundschaftliches Wiedersehen mit dem jetzigen Direktor Blum, den die niedersächsischen Parlamentarier aus seiner jahrzehntelangen Zeit im hannoverschen Landtag kannten. Beim Anblick des Plenarsaales dachten sich die Niedersachsen: So viel Licht und Raum wäre auch im hannoverschen Leineschloss sehr schön. Am zweiten Tag mussten die langjährigen, im Dienst ergrauten Parlamentarier sich gemeinsam mit einem Dutzend Besuchergruppen von einer jungen Hostess den Parlamentarismus erklären lassen; das wirkte auf sie schon etwas gewöhnungsbedürftig. Ebenso wie die Tatsache, dass in der sitzungsfreien Woche nicht ein einziger der über 50 niedersächsischen Bundestagsabgeordneten für ein Gespräch zur Verfügung stand; das war für die niedersächsische Abgeordnetengruppe, bei allem Verständnis, doch etwas enttäuschend. Als die Parlamentarier zum Abschluss die Vertretung des Landes Niedersachsen beim Bund besuchten, waren sie bei der Schilderung der Wichtigkeit der Bediensteten vor allem für den Bundesrat sehr angetan, ebenso von der Architektur dieses „Glas-Palastes“. Aber sie vermissten die „alte Bonner Gemütlichkeit mit Friesenkeller und heimatlicher Umgebung“. Vor allem aber konnten sie dem Hausherrn, Staatssekretär Wolfgang Gibowski, nicht widersprechen, als er meinte, dass die Funktionalität und Wirtschaftlichkeit des Hauses, das sich Niedersachsen mit Schleswig-Holstein teilen muss, gelinde gesagt unzumutbar ist. Einer meinte: Das Beste wäre abreißen und neu bauen. Damit stellte sich natürlich der Vergleich mit dem heimischen Parlament in Hannover. R.Z.